Verslag Franz-Jozef Höing

Herzlichen Dank für die Einladung zu dieser spannenden Veranstaltung und herzlichen Dank für die Möglichkeit zu einem kurzen Statement. Wir haben uns an der MSA – der Münster School of Architecture im Rahmen eines kleinen Studienprojektes, das wir Landluft genannt haben, die Region in den zurückliegenden Wochen angeschaut, sozusagen Stichproben genommen und der ein oder anderen Gemeinde den Puls gefühlt oder nach dem allgemeinen Befinden gefragt. Wir haben ein paar Zahlen und Tabellen studiert und uns durch kurze Bereisungen ein erstes Bild gemacht. Unsere Einschätzungen sind bislang nicht wissenschaftlich im engsten Sinne. Dennoch möchte ich davon ein wenig berichten. Der erst Eindruck ist ernüchternd.

In einigen Vorgesprächen habe ich mich auch mit Herrn Scholz und Herrn Schepers länger unterhalten über die Kultur des Bauens in dieser Region. Wenn man in solchen Gesprächen nicht aufpasst, ist man schnell in einer Phase des Selbstmitleids und bei nostalgischen Blicken zurück auf eine vermeintlich viel bessere Zeit, als man scheinbar noch wusste, wie man eine überzeugende bauliche Haltung in diesem Raum entwickeln kann. Das hat eine lange Tradition bei den Planern und Architekten.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir feststellen, dass wir uns im Kreis drehen – und das im wahrsten Sinne des Wortes, seit Jahren schon. Man vermisst einen Erkenntnisgewinn wenn es um das Bauen in unserer Region geht. Aber man merkt, dass das Unbehagen immer noch vorhanden ist, das es sich noch vergrößert hat – vielleicht sogar proportional zum Wachsen und Wuchern der Orte und Städte. Man hat den Eindruck, dass die zentrifugalen Kräfte noch einmal richtig an den Grundfesten der vorhandenen Strukturen zerren. Wir verstecken die Häuser hinter hohen Wällen und einem hohl gewordenen Vokabular dörflichen Idylls, wir kopieren die Formen schlecht und schreiben sie für die Zukunft fest – ohne noch zu wissen, welche ursprüngliche Funktion und Bedeutung sie gehabt haben. Unser ganzes Städtebau- und Architekturgehabe ist voller Widersprüche und klebt an liebgewordenen Bildern längst vergangener Zeiten. Wahrscheinlich hat man so die Orte vor dem Schlimmsten bewahrt, Architektur ist aber nur selten und dann eher zufällig entstanden. Das Ausmaß der Veränderungen  ist gewaltig – ohne das es so richtig und in Summe wahrgenommen wird –vielleicht auch weil viele daran viel verdienen und einem möglicherweise auch die Vorstellung, dass etwas anders sein könnte - ja müsste -schlicht fehlt. Wir verwechseln regionales Bauen mit Regionalismus. Das regionale Bauen ist eingebettet in die realen Bedingungen einer Region, ist unmittelbarer Spiegel einer konkreten Lebensumwelt, es ist nicht abgeschlossen und vermag auf die Vorgänge in der Welt und auf die Zeit zu reagieren. Der Regionalismus dagegen macht die vermeintlichen baulichen Merkmale einer Region zum architektonischen Thema oder entwertet sie zu einer Formel. Er ist Mittel der Einkleidung, er ist die Lederhose oder das blauweißgestreifte Hemd, das der Notar am Wochenende an seinem Zweitwohnsitz anzieht – in blinder Liebe und fataler Respektlosigkeit- so definiert es jedenfalls Friedrich Achleitner, der große Architekturkritiker und Architekturvermittler aus Österreich.

Das Bauen in dieser Region zu steuern in Richtung einer überzeugenden regionalen Baukultur mutet bei näherem Hinsehen an, wie der Kampf gegen die viel zitierten Windmühlenflügel. Und der verrückte Ritter von der traurigen Gestalt taugt ja so recht als Vorbild nicht.
Denn denken wir noch einmal kurz zurück wie das damals war bei Cervantes, wie Don Quijote den ungleichen Kampf aufgenommen und der Gefahr ins Auge gesehen hat und schon vorab eine klare Schadensbilanz vorlegen konnte: Merke dir Freund Sancho, dies sind keine Abenteuer, bei denen man goldene Inseln gewinnt, sondern solche, die zu nichts anderem führen als einem zerbrochenen Schädel. Und dies sagend, gab er seinem Gaul Rosinante die Sporen. Wie die Geschichte endet, wissen Sie alle wahrscheinlich noch: Er griff die erste Mühle an, und kugelte wenig später gar übel zugerichtet übers Feld.
Es bringt also rein gar nichts, wie ein literarischer Pilger den Spuren der hohen abgerissenen Rittergestalt mit der Lanze und dem Dickwanst auf dem niedrigen Esel noch länger zu folgen.

Deshalb möchte ich ein paar etwas generellere Gedanken zum Bauen und zu den Entwicklungen der Städte hier in der Region formulieren –nicht aus der Rolle eines bauenden Architekten sondern aus der eines Städtebauers und Stadtplaners und der eines Hochschullehrers - allerdings ohne Besserwisserei und ohne akademische Allüren. Wir an der Hochschule wollen ja nicht die Seismographen sein, die die Erschütterungen unserer Umwelt kartieren sondern wollen uns einbringen bei der Suche nach Lösungen aus dem Dilemma.

Die Überschrift über den heutigen Abend lässt sich ja in vielerlei Hinsicht lesen. Ich möchte mich in den kommenden Minuten weniger mit einem Ländervergleich beschäftigen als ein paar kritische Thesen und Themen ansprechen, die wir im Münsterland zu beobachten glauben. Denn grenzenlos ist das Bauen schon hier in vielerlei Hinsicht und das im wahrsten Sinne des Wortes von A bis Z:
Ascheberg 35,1 ha   Ahaus 150,7 ha,  Billerbeck 30,4 ha,  Bocholt 124,8 ha, Borken 82,2 ha  Coesfeld 101,8 ha, Gescher 38 ha, Gronau 101 ha, Havixbeck 24,6 ha, Heek 50 ha, Isselburg 31,3 ha, Lüdinghausen 88,2 ha, Nottuln 80,4 ha, Olfen 70,1 ha....

Man könnte die Liste noch lange fortsetzen. Die nackten Zahlen stehen für die prognostizierten zusätzlichen Flächenbedarfe bis 2020. Ein Großteil der benötigten Flächen soll auch künftig für den Bau von Einfamilienhäusern genutzt werden. Wenn man so will, ist es eine nüchterne Trendfortschreibung im Auftrag einer großen Sparkasse für zwei Kreise in dieser Region. Wir haben es seit Jahren mit einer massiven Ausweisung von Bauland zu tun und erst wenn man die einzelnen Flächen addiert, erkennt man das ganze Ausmaß genauer. Das, was aus der jeweiligen Sicht einer Gemeinde vielleicht Sinn machen könnte, ist in der Gesamtschau durchaus kritisch.
Wir sollten uns das klar machen: Bis 2020 haben allein zwei Kreise den Flächenbedarf von rund 1600 Hektar berechnet. Und das bezieht sich nur auf den Bedarf für das Wohnen. Nimmt man die übrigen Kreise der Region hinzu, verdoppelt sich die Zahl noch. Wohlgemerkt: Die ganzen Flächen stehen in politisch verhandelten Gebietsentwicklungsplänen, sie tauchen auf in den so genannten Flächennutzungsplänen aus denen scheibchenweise Planungsrecht entsteht.
Die Gemeinden in den Kreisen des Münsterlandes setzen also nach wie vor auf quantitatives Wachstum und weisen Flächen in einem Ausmaß aus, als würden nicht viele Indikatoren darauf hindeuten, dass die zentrifugalen Kräfte an Bedeutung verlieren - auch wenn das bislang für viele Orte noch ein wenig aus dem Bauch des Architekten und des Stadtentwicklers heraus gedacht zu sein scheint und dieser Trend zurück in die Stadt oder zurück in die zentraleren Lagen der Kleinstadt bislang nur in homöopathischer Konzentration messbar ist.
Dennoch, viele Anzeichen deuten auf eine Trendverschiebung hin: Der Aufwand zur Raumüberwindung wird zunehmend höher. Das Versprechen grenzenloser Mobilität bei geringsten Kosten kann nicht mehr eingehalten werden. Die Benzinpreise steigen stetig an und die Refinanzierung durch Kilometerpauschalen verschwindet. Der Zeitfaktor spielt in den Entscheidungen eine zunehmende Rolle. Verstopfte Straßen erhöhen den Zeitaufwand, um von A nach B zu kommen.

In den kommenden 20 Jahren wird der Anteil der potentiellen Bauherren klassischer Ausprägung (zwischen 30 und 45 Jahren) um 25 Prozent sinken. Die Klientel also, auf die das Angebot bislang wesentlich zugeschnitten ist, ist - überspitzt formuliert  - eine aussterbende Spezies.
Die Garantie eines sicheren Arbeitsplatzes gibt es immer seltener und ist in machen Brachen so gut wie verschwunden. Die Zuversicht oder das Grundvertrauen in eine stetige berufliche Biographie ohne Lücken und stabiler Einkommen ist so gut wie nicht mehr existent. Dies ist aber für viele Bauherrn die wichtigste Voraussetzung, um sich für einen Hausbau zu entscheiden und für die Geldgeber unerlässlich. Das Leben in einem engen Netzwerk an beruflichen und privaten Beziehungen wird zukünftig immer wichtiger. Die Stadt ist dafür in viel größerem Maße geeignet, als eine kleine Gemeinde. Natürlich trifft das besonders für junge Menschen zu.

Die Stadt wird aber auch wieder attraktiv für diejenigen, die älter werden. Nicht nur die Nähe zu medizinischen Einrichtungen sondern auch die Nähe zu kulturellen Angeboten, die Nähe zu den Kindern, zu einem attraktiven hochwertigen Einzelhandelsangebot in geringer Entfernung vom Wohnort – alles das gewinnt zunehmend an Bedeutung. Für einige Großstädte ist dieser Trend bereits seit geraumer Zeit deutlich spürbar. Menschen verkaufen ihr Einfamilienhaus und erstehen eine Wohnung in zentraler Lage, zusammen mit Freunden und Gleichgesinnten. Das große Haus wurde nämlich zusehens eine Last, die Entfernungen zu groß.

Schaut man auf die Siedlungsentwicklung, hat man den Eindruck, dass man es man mit einem Raucher zu tun hat, der sich schon lange gute Vorsätze zurecht gelegt hat und vor dem Aufhören noch ein paar Packungen Zigaretten ohne Filter rauchen möchte – entgegen aller Warnungen der Ärzte und obwohl die Kondition schon jetzt mehr als zu wünschen übrig lässt. Manchmal sind die Ärzte auch richtige Raucher.

Man fühlt sich auch an die Szene im Kino erinnert: in der in der ersten Reihe eines vollbesetzten Saales einer der Zuschauer den Eindruck hat, nicht ausreichend sehen zu können. Um dieses Manko abzustellen, steht er auf, optimiert aus seiner Sicht die Situation und versperrt dem hinter ihm sitzenden Zuschauer den Blick. Der beschwert sich kurz und steht dann aber auch auf, um die möglicherweise spannendsten Szenen des Films nicht zu verpassen. Das geht jetzt wie ein Lauffeuer durch den Saal – bis letztlich alle stehen. Jeder kann jetzt wieder fast so gut sehen, wie vorher – sitzt aber nicht mehr im schönen Sessel. Auch wenn das Beispiel hinkt – man fühl daran immer wieder erinnert, wenn man die Entwicklungen der Städte in unserer Region betrachtet. Es ist ein permanentes trading down. Man versucht möglichst viel vom Kuchen der potentiellen gut verdienenden Einwohner für sich zu gewinnen – durch Regelfreiheit beim Bauen, Zuschüsse für den Ansiedlungswilligen, subventionierte Baulandpreise....

Hierbei spielt die mit Abstand größte Stadt in der Region kräftig mit – und zwar durchaus erfolgreich. Eine offensive Baulandausweisung und Erschließung in den letzten 15 bis 20 Jahren hat dazu beigetragen, Bewohner in der Stadt zu halten – sie nicht an das werbende Umland zu verlieren. Leider, so unser Eindruck hat die Stadt dabei nur in ganz seltenen Fällen versucht, einen alternativen Weg zu gehen, ein alternatives Wohnangebot zu formulieren, eine städtische Antwort zu geben, neue Haus- und Wohnformen zu entwickeln, den Vorbehalte gegen eine städtische Dichte mit überzeugenden Beispielen entgegen zu treten. Stattdessen sieht es in so manchen Stadterweiterungsgebieten ähnlich oder genauso aus, wie in der gesamten Region in den kleineren Gemeinden. Als Großstadt der Abstimmung mit den Füßen vehement entgegenzutreten ist meiner Auffassung nach gleichwohl richtig.
Dazu gibt es keine Alternative denn es kann nicht sein, dass eine gut verdienende Mittelschicht den Exodus aus der Stadt antritt, es sich auf dem Lande hinter neu angelegten meterhohen Lärmschutzwällen entlang der neuen Umgehungsstraße gemütlich macht und eine Großstadt wie Münster darauf nicht reagiert. Insofern ist die Strategie der Stadt in den letzten Jahren sicherlich erfolgreich gewesen. Leider trifft das für die Architektur und den Städtebau nur bedingt zu. All zu häufig ist nicht mal richtig Siedlung, und noch viel seltener wirklich Stadt gebaut worden.

Bodenpreise

Der Motor kommt allerdings ein wenig ins Stottern. Die Preise für den Boden stagnieren in einigen Städten bereits. Man sollte aufpassen, nicht in eine Spirale hinein zu geraten, bei der die eine Gemeinde die andere mit niedrigen Quadratmeterpreisen auszustechen versucht. In einzelnen Fällen lässt sich das mittlerweile beobachten. Da hat man großflächig neue Areale erschlossen und fängt an, aufgrund gebremster Nachfrage und großen finanziellen Drucks die Preise zu senken. Das mag kurzfristig für Entlastungen des städtischen Haushalts sorgen, auf längere Sicht muss man die Tragfähigkeit eines derartigen Vorgehens in Frage stellen. Und leider scheint gerade  Architektur und Städtebau dann  einen geringeren Stellenwert einzunehmen. Häufig ist man bereit, auch und gerade diesbezüglich Abstiche zu machen obwohl genau das Gegenteil angeraten wäre. Dabei wäre ja grundsätzlich gegen Gratifikationen nichts einzuwenden, wenn man sie an Qualitätszielen und Verfahrenskultur knüpfen würde. Leider muss man auch feststellen, dass in manchen Gemeinden eine solide Bodenvorratspolitik nicht mehr praktiziert wird und vergibt so die Möglichkeit, aktiv und steuernd auf das Baugeschehen einzuwirken.

Renditeerwartungen

Ich bin auch nicht sicher, dass alle Renditeerwartungen und Wertzuwächse, die heute bei der Finanzierung versprochen werden, zukünftig noch realisiert werden. Wir werden uns dem vielleicht noch zehn Jahre anhaltenden Wachstum auf ein Stagnieren einstellen müssen, mancherorts auch auf Schrumpfungen. Keiner kann das heute exakt benennen. Im Umland großer Städte beobachten wir seit geraumer Zeit eine Stagnation der Immobilienpreise. Überzogenen Erlöserwartungen steht eine schwache Nachfrage oder gar keine Nachfrage gegenüber. Die ursprünglichen Versprechungen sind dahin. Die viel gerühmten Möglichkeit der Alterssicherung bekommen einen Dämpfer. Manche Immobilie wechselt bereits den Eigentümer deutlich unter dem offiziellen Kurs. Beobachtet man etwas genauer, wie lange eine Immobilie mittlerweile angeboten werden muss, bevor sie den Besitzer wechselt, deutet bereits darauf hin, dass der Markt schwieriger geworden ist. Diejenigen, die sich von institutioneller Seite mit der Finanzierung der Suburbanisierung beschäftigen, sollten auch darüber einmal nachdenken.

Demographischer Wandel

Ein Blick auf die die bekannten demografischen Baumstrukturen machen deutlich, dass wir uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf eine deutliche Veränderung in der Altersstruktur der Bevölkerung einzustellen haben. Das weiß mittlerweile nahezu jeder und der demografische Wandel ist mit großer Zeitverzögerung im Moment in aller Munde. Einem bayblonischen Sprachgewirr nicht unähnlich, verkünden derzeit viele vermeintliche Fachleute, wie man dem vermeintlichen Problem beikommen kann, und welche Antworten der Städtebau und die Architektur dazu bereithalten. Allzu oft sind es schnelle Antworten. Ich überschaue nicht vollständig, wie sich der Wandel konkret auf die Städte auswirken wird. Ich bin nur unsicher, ob das, was wir heute im Wesentlichen in der Region bauen, in der Lage ist, auf die neuen Bedürfnisse zu reagieren. Denn das ist in vielen Fällen ausgerichtet auf die Kleinfamilie – böse Zungen sagen auch Ramafamilie – die taucht ja in den bekannten Werbespots für einen Brotaufstrich immer wieder auf und sitzt bei Sonnenschein im großen Garten. Für andere Lebensmodelle und Lebensabschnitte gibt das derzeitige Bauen wenig Vorzeigbares her.

Ein paar Worte zum Wohnen aus einem Guss weil das ja immer wieder als Lösung angeführt wird.

Ich habe nicht den Eindruck, dass das der Königsweg ist, um den Wildwuchs zu stoppen – auch wenn die Planer und Architekten immer wieder gerne phantastische Beispiele anführen, die durch ihre Makellosigkeit, Geschlossenheit und hohe architektonische Qualität seit Jahrzehnten beeindrucken. Wir alle kennen die herausragenden Siedlungen von Utzon in Dänemark wie z.B. die in Helsingör und Fredensborg. Eine geschickte Staffelung von Gartenhofhäusern lässt große offene und vielfältig nutzbare Grünräume entstehen und gleichzeitig hat jedes Haus einen geschützten Garten und den Blick in die offene Landschaft. Räumliche Komplexität entsteht durch Städtebau und einer genialen freiräumlichen Interpretation der Landschaft. Die großen zusammenhängenden
Freiflächen sind Teil der privaten Grundstücksflächen und werden gemeinsam unterhalten und gepflegt. Allein durch die unterschiedliche gestalterische Behandlung des Freiraums in den beiden Siedlungen entsteht eine Unverwechselbarkeit. Die Prägnanz entsteht durch wenige geschickt gewählte Zutaten.
Es sind eben keine hohlen Phrasen sondern Qualitäten im täglichen Gebrauch der Siedlung: minimaler Erschließungsflächenanteil, optimale Flächenzuschnitte und Grundrisszonierungen im Innern der Häuser, geschützte Gärten, Wertbeständigkeit durch den Schutz vor gestalterischer Tyrannei des Nachbarn, Gemeinschaftseinrichtungen, die für das soziale Leben in dem Quartier von großer Wichtigkeit sind, die Siedlungen liegen in fußläufiger Entfernung zu den Kernen der jeweiligen Stadt. Und die Baukosten waren auch Dank der
Standardisierung überschaubar.
Die Siedlungen erfreuen sich auch deshalb großer Beliebtheit, weil die Vorteile jeden Tag spürbar sind und nicht, weil irgendwelche formalen Regeln oder architektonische Ismen oder Messen zelebriert werden. Und fragt man nach den Wurzeln der Architektur und macht sich schlau, wie der berühmte Utzon zu seinen Hofhäusern gekommen ist, stößt man auf traditionelle dänische Hofstrukturen, die er in beiden Fällen zeitgemäß und zeitlos schön und
frei interpretiert hat – befreit von allen folkloristischen Beiwerk und vordergründiger Zitiererei. Die städtebauliche und die architektonische Form entwickeln sich also nicht so sehr aus einem fertigen Bild. sondern aus einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Wohnen, der Gebrauchfähigkeit von Räumen und Freiräumen, einer präzisen sozialräumlichen Zonierung und viel Liebe zum Detail. Und natürlich, weil es jemanden gab, der den gesamten Prozess begleitet hat – bis zum letzten Stein.

Eine kleine Anekdote vielleicht am Rande.

Die beiden Siedlungen haben wir an einem späten Abend besucht. Die Studierenden waren schon müde und nur sanfter Druck hat uns ans Ziel kommen lassen – aber nicht direkt. Als wir meinten dass wir die Siedlung entdeckt hätten, sind wir ausgestiegen, haben die Fotoapparate gezückt und sind ehrfurchtsvoll auf Utzons vermeintlichen architektonischen Spuren gelustwandelt – bis wir gemerkt haben, das der Teich zu klein war, die Straße einen anderen Verlauf nahm und wir wahrscheinlich in einer anderen Siedlung stehen – von einem Architekten gedacht und gebaut, den keiner von uns kennt. Nun warum erzähle ich von diesem peinlichen Missgeschick eines hoch bezahlten Hochschullehrers? Weil die Qualität in Dänemark nicht nur in den Highlights des Siedlungsbaus besteht sondern darin, dass Qualität an vielen Orten gleichzeitig entsteht. Genau das müsste ja das Ziel sein: eine hohe Qualität in der Alltagsarchitektur. Auch in den letzten Jahren sind in Dänemark traumhaft schöne Siedlungen entstanden, in überschaubarer Größe und mit ähnlichen Qualitäten. Die Bilder mögen für den ein oder anderen von ihnen gewöhnungsbedürftig sein. Sie sind auch gar nicht als Referenz für das Bauen in hiesigen Regionen gedacht sondern als Beleg dafür, dass es nicht primär um eine bestimmt Architektur geht sondern um konkrete Qualitäten im öffentlichen Raum und die Gebrauchsqualität der Freiräume und die richtige Verwendung der ganzen typologischen Bandbreite für das Wohnen. Denn das ist ja gerade das Problem im Münsterland. Wir wollen Siedlungen bauen und addieren nur die Häuser und einen Haustyp – egal wie kunterbunt er sich gebärdet, wir wollen die Qualitäten des Einfamilienhauses erhalten und entziehen ihm das Grundstück und den Garten, wir entwickeln keine ausreichenden Qualitäten im verdichten Wohnungsbau und im Geschosswohnungsbau und beschweren uns dann, dass die Akzeptanz hinter unseren Erwartungen zurückbleibt.

Im Rahmen der Regionale 2004 hat es einige Wettbewerbsverfahren gegeben, die den mehr als löblichen Versuch unternommen haben, in einigen Orten des Münsterlandes kleinere Siedlungen zu bauen, die an die Tradition des Siedlungsbaus anknüpfen wollten. Es gab schöne Pläne und gute Konzepte. Leider sind nur wenige Wettbewerbsergebnisse in die Tat umgesetzt worden – genau genommen hatten nur die Großstadt Münster und eine ambitionierte Wohnungsbaugesellschaft den Mut, sich auf ein kleines Experiment einzulassen. Ein Tropfen auf den heißen Stein aber immerhin. Ansonsten muss man konstatieren, das Bereitschaft zum Umsteuern bislang nicht vorhanden ist – auch weil gute aktuelle Beispiele nicht oder nur in geringem Umfang vorhanden sind. Und Sie wissen ja – schwierig ist vor allem der erste Schritt.

Wir haben es in der Vergangenheit nur selten gewagt, Stadt zu bauen. Stattdessen haben wir Probleme dadurch gelöst, indem wir die verschiedenen Nutzungen fein säuberlich voneinander getrennt haben. Wenn es aber eine ursprüngliche Logik des Bauen in ländlichen Räumen gegeben hat, dann doch die, das verschiedene Nutzungen unter einem Dach verknüpft waren und in einer engen räumlichen und funktionalen Beziehung gestanden haben. Ich weiss deshalb gar nicht so genau, wie erstrebenswert es zukünftig ist, immer Siedlungen aus einem Guss zu bauen – zumindest nicht  nur für ein soziales Milieu, für eine Einkommensgruppe, ausschließlich für das Wohnen. Vielleicht dekorieren wir auch ja deshalb unsere Städte so, um von ihrer Eindimensionalität abzulenken.
Wir sollten in einem ersten Schritt weniger über die Form als vielmehr über das Programm noch einmal nachdenken.

Der öffentliche Raum

Ist heute praktisch nicht vorhanden in den neuen Quartieren. Wir starren allzu sehr auf die einzelnen Häuser. Stattdessen sollten wir uns auch um den Raum dazwischen kümmern. Manchmal ist er viel zu groß und wir wissen scheinbar gar nicht so recht, was wir mit ihm anfangen sollen und gießen dann jede Menge bunte Steine hinein, lassen Bäume hin und her springen, denken an alle Din Normen für die Müllfahrzeuge und die Feuerwehr. Wir sorgen noch für die gesetzlich vorgeschriebenen Besucherstellplätze aber danach fehlt die Phantasie. Wir dekorieren die Zwischenräume und machen sie klein. Jede einzelne Profession nimmt sich seinen Teil und gestaltet ihn nach Gutdünken. Wir planen die Vorstadt auf die grüne Wiese und nennen es Dorf. Wir tarnen die Wendehämmer als Höfe und umzingeln sie mit Häusern, die sich selbst genug sind.
An anderen Stellen ist der Raum zwischen den Häusern zu klein, zu wenig prägnant. Wirkliche Plätze, wirkliche kleine Parks um die sich die Siedlung versammeln könnte, sind die große Ausnahme. Würde man aber mal eine Flächenbilanz machen und innerhalb einer Siedlungserweiterung die Prioritäten verschieben, zwischen wichtigen und weniger wichtigen Räumen unterscheiden, ließen sich oft ohne Mehraufwand wirkliche öffentliche Räume schaffen und es wäre auch noch genug Platz für richtige Bäume. Weg mit dem ganzen leidigen Vokabular der Vorstadt! Wirkliche Qualität entsteht erst im Zusammenspiel zwischen öffentlichen Räumen, Freiräumen und Gebäuden. Solange wir diesen Zusammenhang nicht ernst nehmen, werden keine überzeugenden Ergebnisse entstehen können.

Planungsrecht

Wir sollten aber nicht so tun, als käme das alles von Außen auf unsere Region zu, als ließe sich nichts beeinflussen, nichts steuern. Wir steuern und beeinflussen ja vieles. Alles ich sozusagen rechtens, was gebaut wird. Mittlerweile werden die ganzen B- Bebauungspläne ja auch konsequenterweise von Juristen wasserdicht gemacht. Man ist schon froh, wenn man an der Front Ruhe hat. Alles das, was sie da draußen sehen, ist in Planungsbüros entstanden, bei Bauträgern, bei Architekten, das ist alles in endlosen Stadtplanungsausschusssitzungen zwischen den Parteien diskutiert und verabschiedet worden und durch verschiedene Ämter begleitet worden und man hat es oft gemeinsam für richtig gehalten, keinen Wettbwerb zu machen, keine Alternativen zu prüfen, ein Risiko einzugehen, mal andere Bauträger zum Zuge kommen zu lassen oder sie zu suchen. Umso erstaunlicher ist es, wenn man dieses Schulterzucken im Nachgang bemerkt. Keiner will es so recht gewesen sein. Die ganze Malais scheint etwas
Schicksalhaftes zu bekommen.

Schaut man auf die Schnittmusterbögen des Planungsrechts samt dazugehörigen textlichen Litaneien, so stellt man fest, dass wir einen Formen- und einen Materialkanon fixieren, der dem Traditionellen vordergründig sehr nahe kommt – ohne allerdings die ursprüngliche funktionale und gestalterische Plausibilität ihres Einsatzes und die handwerkliche Brillanz festzuschreiben. Denn eigentlich wäre das ja wünschenswert: das Materialien ihr inneren Logik gemäß eingesetzt werden und nicht nur als Dekor und Stimmungsmacher. Wir sollten – verzeihen Sie mir das bisschen Pathos – den Materialien ihre Würde nicht wegnehmen.

Sie kennen alle auch diese ganzen Fiebeln und Satzungen, die alles Mögliche und Unmögliche regeln wollen, die gute Beispiele zeigen, für Gauben und Dachziegel und Sprossen in den Fenstern. Sie sind gut gemeint – manchmal gut gemacht. Interessant ist es, zu schauen, was denn da jeweils festgelegt oder empfohlen wird. Allzuhäufig sind es die gängigen Vorstellungen. Man verhindert gewiss das Schlimmste. Architektur entsteht dabei aber nicht automatisch. Fibeln können Grundlage für Beratungen und Richtschnur sein. Sie können als Anlage zu Grundstückkaufverträgen gemacht werden. Sie sollten aber offen gehalten werden denn.

Materialien

Schaut man sich die heutige Vielfalt der Materialien an und beobachtet die Schrittgeschwindigkeit, mit der immer neues, textiles, betonartiges, metallisches, gläsernes und alles an Kombinationen dazwischen entwickelt wird, Baustoffe, die sich klimatischen Bedingungen in einer erstaunenswerten Art immer wieder anpassen und reagieren, Hüllen, die geklebt sind, die Energie produzieren können, die demontierbar sind, dann wundert es schon, mit welcher Beharrlichkeit wir Entwicklungen negieren. Die von uns heute so geschätzten historischen Formen und Gebäude, denen wir so nacheifern, waren Ergebnis eines sehr rationalen Bauens. Sie waren energieeffizient, die Baustoffe waren ökologisch unbedenklich, sie entsprachen dem jeweiligen Stand der Technik, sie waren selbstbewusst, sie waren abgeleitet aus der inneren Funktion, sie reagierten auf die Topographie, sie interpretieren die Landschaft, die klimatischen Bedingungen, sie waren meist multifunktional, sie sind heute noch brauchbar und anpassbar und sie sind deshalb auch langlebig. Daran sollten wir anknüpfen – nicht an die äußere Form. Wir sollten keine Bilder festschreiben sondern Qualitäten. Die können von Ort zu Ort ganz unterschiedlich sein, verschieden gewichtet werden und unterschiedlich interpretiert werden.

Flächensparen

Wir reden immer übers Flächensparen und meinen immer nur, das Wohnen. Alles andere scheint vollständige Absolution erhalten zu haben. Wir  versuchen bis ins Kleinste das Wohnhaus zu reglementieren – erfolgreich oder erfolglos – und vergessen dabei scheinbar, welcher Flächenverbrauch für großflächiges Gewerbe und Einzelhandel auf der grünen Wiese bereitgestellt wird. Wir hofieren die Einzelhandelsketten und erfüllen die Maximalforderungen und sind zufrieden, wenn die große Schachtel ein backsteinernes Kleid und eine rote Zipfelmütze trägt.

Ein paar Worte zur Umsetzung

Zwischen dem Blitz des Entwurfes und dem Donner der Baustelle erleben wir einen dramatischen Qualitätsverlust. Wir reden uns ein, dass ein gutes städtebauliches Layout in der Lage ist, die schlimmsten Ausreißer zu bändigen und die viel beschworenen Freiheiten für die einzelnen Bauherren garantieren kann. Seit Jahren geistern die Begriffe Robustheit und Flexibilität durch das Vokabular von Planern und Politikern. Das ist eine Gratwanderung mit der Flexibilität. Jeder nimmt für sich in Anspruch, zu wissen, wie man sie interpretiert und anwendet und ganz schnell kann daraus Beliebigkeit werden. Um wirkliche stadträumliche und freiräumliche Qualitäten entstehen zu lassen, müssen die Kompetenzen gebündelt werden. Es braucht eine kontinuierliche Betreuung der Projekte – vom Masterplan bis zum Detail. Das braucht viel Know- how aber auch Geld und Personal. Das hat sich immer wieder bestätigt. Die berechtigten oder unberechtigten Einzelinteressen müssen gebündelt und aufeinander abgestimmt werden. Und die unterschiedlichen Disziplinen müssen enger miteinander verwoben werden. Und noch was ganz banales:  Architekten sollten auch Architektur entwickeln. Es gibt noch immer eine Verantwortung des Architekten und des Planers für die gebaute Umwelt. Dass man sich dafür einsetzt, dass die Qualität nicht auf der Stecke bleibt, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit – auch und trotz geringer Honorare. Leider beobachtet man immer wieder, wie leidenschaftslos Bauanträge und Planungskonzepte in Serie gehen und man dann auch auf seine Kosten kommt.

Vermittlung

Architektur und Stadtentwicklung findet eigentlich im öffentlichen Diskurs nicht statt. Die Themen hat unsere Gesellschaft delegiert an vermeintliche Profis, die sich aber dann leider immer beschweren über mangelnde Aufmerksamkeit und fehlende Akzeptanz und über die Ignoranz der Konsumenten. Es ist gerade unter ambitionierten Architekten und Planern populäre, auf die Häuserbauer einzudreschen, auf ihre Unkenntnis beim Bauen, über ihre Verführbarkeit, ihren Wunsch nach Gemütlichkeit und Dekor. Da machen wir es uns ein wenig zu leicht. Wir brauchen den sprichwörtlich langen Atem, es muss nicht nur plausibel gebaut werden sondern auch plausibel vermittelt werden. Schaut man da über die Grenzen, lässt sich vieles lernen. In den Ländern, die wir gern als Vorbild nehmen – die Niederlande, Dänemark und Österreich beispielsweise – hat die Vermittlung von Architekturqualität einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. In Dänemark ist Umweltgestaltung Teil der schulischen Ausbildung und zwar schon in einer sehr frühen Phase. In Österreich hat zum Beispiel die so genannte Vorarlberger Schule einen breiten Diskurs als Vorlauf gehabt und konkrete Personen, die etwas wollten, die Kopf und Kragen riskiert haben. Eine Debatte über die Gestaltung unserer Lebensumwelten muss aus dem engen Kreis der Architekten hinausgetragen werden.
Der BDA könnte sich überlegen, ob es nicht im Zusammenspiel und in Kooperation mit andern Einrichtungen und Verantwortlichkeiten ein kleines aber feines Haus der Architektur geben könnte, das man mit vereinten Kräften zu einem Ort des Diskurses macht. Da muss nicht immer und ausschließlich das Bauen hier in der Region zum Thema machen. Man könnte Neugierde wecken, Blicke in andere Regionen und über die Grenze wagen. Das Land NRW ist derzeit dabei, ein so genanntes mobiles Museum für Architektur und Ingenieurskunst zu entwickeln. Auch dort gäbe es Andockstellen.

Man muss aber auch einfach anfangen – mit konkreten Orten und konkreten Projekten und Programmen und nur mit denen, die wirklich etwas wollen, die einen Anspruch haben, überzeugende Akzente in dieser Region zu setzen. Da sind Architekten und Städtebauer ebenso angesprochen wie Bausparkassen, Städte genauso wie Bauträger Behörden und Bauherren. Ich glaube nicht, dass man Zeit hat, auch alle diejenigen zu überzeugen, die es sich in den bestehenden Strukturen gemütlich gemacht haben. Es braucht eine Konkurrenz um die besten Ideen - keine vorgefertigten Bilder. Es geht nicht um die Transformation modischer Entwicklungen in regionale Verhältnisse sondern um die an gegenwärtigen Bauaufgaben und technischen Möglichkeiten orientierte Erneuerung der Architektur und des Städtebaus

Architekturqualitäten

Es wäre schön, wenn es uns dadurch wieder gelingen könnte, in den kommenden Jahren dem Städtebau und der Architektur eine neue Sinnlichkeit, eine neue Emotionalität und Poesie zu verleihen - abseits populistischer Maskerade und auch abseits von kargem Zweckrationalismus.
Das Münsterland könnte Experimentierraum für zeitgenössische Architektur werden, für eine Architektur, die neu ist und die neugierig macht, weil andere Planungs- Herstellungsverfahren zum Einsatz kommen können, weil neue Materialien Verwendung finden oder traditionelle Materialen ihrer Logik gemäß verwendet werden oder anders und ganz neu eingesetzt werden, weil zeitgemäßes Bauen emissionsfrei sein sollte, weil Energieeffizienz eine viel größere Rolle spielen wird, erneuerbare Energien eingesetzt werden und die Einpassung in die Natur und die Umwelt nur mit minimalen Eingriffen erfolgt. Eine derartige Architektur wird dann natürlich auch anders aussehen als die, die wir heute kennen. Nicht deshalb, weil sie einer vordergründigen  Andersheit das Wort
redet, sondern Ergebnis neuer gesellschaftlicher  Anforderungen und technologischer, wirtschaftlicher und künstlerischer Innovation sein kann. Dabei geht es längst nicht nur um den Neubau sondern um die innovative Weiterentwicklung der Bestände gleichermaßen. Innovationen sind nicht planbar, systematische Suchprozesse können sie jedoch befördern. Diese zu organisieren, wird eine wichtige Aufgabe der kommenden Jahre sein.
Dabei wird die Suche nach neuen Architektur und Raumvorstellungen aber bedenken müssen, dass es zunehmend schwieriger sein wird, gesellschaftliche Entwicklungen und Bedarf präzise für einen langen Zeitraum zu beschreiben. Deshalb werden bei der Entwicklung von Architektur für das Wohnen, für Freizeit und neue Arbeitswelten  Passgenauigkeit und exakte Programme immer häufiger durch eine intelligente Unbestimmtheit der Architekturkonzepte abgelöst. Starre Ready-mades werden an vielen Orten durch anpassbare Stadt- und Raumstrukturen ersetzt werden. Große Infrastrukturen werden wieder in die Konzept- und Formfindung einbezogen. Der öffentliche Raum als Grundgesetzt der Stadt muss wieder stärker im Entwurf thematisiert werden. Wir benötigen wieder Freiraumqualitäten in den Siedlungen. Wir sollten überlegen, ob nicht manchmal das pflegeleichte Dauergrün und die grünen Mindestabstände zwischen den Häusern wieder zu Gärten werden müssen. Einiges ließe sich bündeln, zusammenlegen und vor allem zusammen denken. Es könnten kraftvolle gemeinschaftlich genutzte Freiräume entstehen, die den Siedlungen eine eindeutige Adresse und Bezugsraum geben. Die öffentlichen Räume sollten zur neuen Visitenkarte werden. Dazu brauchen wir vielleicht neue gestalterische Antworten um der vordergründigen Dekoration zu entkommen.

Man sollte wieder beweisen, dass gute Architektur bezahlbar ist. Herr Conradi, den viele von Ihnen ja kennen, hat vor einiger Zeit einmal bemerkt, dass er in kein Flugzeug einsteigen würde, wenn es so konstruiert und gebaut würde, wie unsere Häuser. Das Bauen hinkt der Innovationsgeschwindigkeit anderer Branchen und Wissensgebieten meilenweit hinterher.  Wir reden über kostensparendes Bauen und reduzieren immer nur die Grundstücksgrößen. Hier können wir wahrscheinlich mit einem Blick über die Grenze unserer Disziplin und in die Niederlande vieles lernen. Man sollte die Nutzungen stärker mischen, man sollte eine Pluralität der Architekturen zulassen, ohne in Beliebigkeit enden zu müssen. Architektur sollte sich vordergründig modischen Zierrats entzieht. Letzteres  gilt übrigens für die Landschaftsarchitektur gleichermaßen.

Fazit

Um kein falsches Bild dieser Region zu vermitteln: Viele Städte und Gemeinden sind noch immer vital, Sie haben es geschafft, wirtschaftlicher Prosperität zu stimulieren. Sie haben in den zurückliegenden Jahrzehnten ihre historischen Kerne mit viel Behutsamkeit, Liebe zum Detail und nicht zuletzt mit großem finanziellem Aufwand saniert. Die viel gerühmte münsterländische Kultur- und Parklandschaft gibt es trotz allen strukturellen Wandels in der Landwirtschaft noch immer und Sie ist im Zusammenspiel mit den historischen Ortslagen, das, was unsere innere Landkarte des Münsterlandes bestimmt. Sie sind noch immer stark. Wir sollten trotzdem beginnen, ein paar zusätzliche zeitgenössische Koordinaten auf diese Karte zu schreiben. Die Regionale 2004 hat das getan und gleichzeitig gezeigt, dass es keine Rezepte und keinen Königswege gibt. Es sind viele Schritte und Stellschrauben, die wir gehen und an denen wir drehen müssen. Für Verklärtheiten und Naivitäten ist deshalb sicherlich kein Platz, für Pessimismus aber schon gar nicht Denn trotz aller Überformungen und Erschütterungen sollten wir uns an Noteboom erinnern – dem großen niederländischen und europäischen Denker und Schriftsteller der in einem schönen Text über die Verlockungen der Stadt folgendes sagt: Wir könnten jetzt noch lange reden und staunen über die Vielseitigkeit von Städten und ihre Häuser, über die merkwürdige Art und Weise, wie sie plötzlich irgendwo mitten auf einer Fläche beginnen, über die täglich wiederkehrende Ebbe und Flut ihrer Bevölkerung, über die Tatsache, dass aus allen Hähnen Wasser fließt, dass man immer wieder in allen Restaurants etwas zu essen bekommt, dass man sich so gut in den Städten verbergen kann, dass sie manchmal schon fast vor dem Tode stehen und dann doch nicht sterben, dass sie sich auf dem Untergrund ihrer eigenen Geschichte selbst in einem fortbauen, dass man in ihnen in aller Öffentlichkeit albern sein kann, unbemerkt sterben kann, seine Botschaften von Hass und Liebe an die Mauern schreiben kann, dass sie unendlich arm sind und die größten Schätze beherbergen, dass sie die Vergangenheit in ihren Straßennamen bewahren, das sie ihre Bewohner man kosen und dann wieder strafen und dass diese Bewohner immer wieder namenlos verschwinden und die Stadt einfach weitergeht, eine Passage, ein Durchgangshaus, ein Charakter, eine Seele, die ihre Bewohner dazu benutzt, um sich selbst zu behaupten.

Vielen Dank